Es gehört zum Menschsein, sich Gedanken über das zu machen, was jenseits des Todes liegen mag. Dass der Mensch sterben muss, ist eine allgemeine Tatsache, ein Wissen darum verdankt sich nicht nur der je eigenen empirischen Erfahrung, dass man Tod und Sterben an anderen Menschen erfährt. Vielmehr gibt es so etwas wie ein grundsätzliches Wissen um die eigene Sterblichkeit. (Biologische Forschungen deuten in die Richtung, dass es auch bei anderen, höher organisierten Tieren zumindest eine Ahnung vom eigenen Tod gibt – was sich in entsprechendem Verhalten zeigt.)
Das Wissen um Tod und Sterblichkeit geht jedoch genau nur bis zu dem Punkt, an dem der Mensch noch nicht tot ist. Auch sogenannte Nahtoderfahrungen sind ja nur nahe am Tod, aber eben kein Tod. Von dem was es bedeutet, gestorben und damit tot zu sein, gibt es kein Wissen. Philosophen wie Epikur leiten davon die Maxime ab, dass uns der Tod nicht bekümmern müsse: Solange wir leben, hat der Tod nichts mit uns Lebenden zu schaffen. Sind wir tot, sind wir nicht mehr, und darum kann uns der Tod nicht weiter schrecken. Für die Gestaltung des Lebens und für den Umgang mit Sterben und Tod kommt es neben dem vorhandenen Faktenwissen aber wesentlich auf die Bedeutung an, die man dem Tod beilegt. Spätestens hier kommt die Frage auf, wie man den Tod deuten will – wissen kann man es ja nicht. Bedeutet der Tod ein völliges Ende und Aus für das, was uns Menschen (und andere Lebewesen) ausmacht? Dass die biologischen Vorgänge wie Atmung, Stoffwechsel, Verdauung oder Zellerneuerung mit dem Tod aufhören, wissen wir. Dass der Körper zerfällt und anderen Organismen zum Leben dient, gehört ebenfalls zum unbestreitbaren Faktenwissen. Hört damit auch das auf, was wir mit Personsein, mit dem Ich oder der Seele verbinden?
Die Frage nach Tod, Sterben und einem möglichen Weiterleben nicht-körperlicher Elemente eines Menschen verweist auf verschiedene Menschen- und Weltbilder. Ob eine unsterbliche Seele getrennt vom sterblichen Körper in einer anderen Welt – weil sie für Sterbliche nicht erkennbar und erreichbar ist – weiterlebt, ist eine andere Vorstellung als die von einer Reinkarnation der Seele in einem anderen weltlichen Körper. Und das ist noch einmal eine andere Vorstellung als die von einer Neuschaffung der Kreatur.
Die Seele in Himmel oder Hölle
Die Vorstellung einer unsterblichen Seele, die jenseits des sterblichen Leibes eine für sie selbst bruchlose Fortexistenz führt und zurück in den Himmel strebt, den Ort ihrer Herkunft – das ist zunächst einmal Gedankengut, das auf Ideen Platos zurückgreift. Diese Vorstellung verbindet sich im frühen Mittelalter mit dem christlichen Glauben an die Auferstehung und ist bis heute bei uns prägend für viele Jenseitsvorstellungen. Viele mittelalterliche künstlerische Darstellungen, die bis heute unsere Vorstellungswelt beeinflussen, zeigen, wie im Tod aus dem sterblichen Körper des Menschen dessen Seele dem Körper entschlüpft und entweder von Engeln in den Himmel oder Teufeln in die Hölle geführt wird. Die Seele sieht auf diesen Bildern wie die Miniaturausgabe des Menschen aus – ein Hinweis auf ihre Individualität und zugleich auf ihre Unterschiedenheit vom sterblichen Körper.
Aus dem irdischen Leben gab es nach christlicher Vorstellung damit zwei Ausgänge, einmal in das ewige Leben im Himmel und zum anderen die ewige Verdammnis in der Hölle. Letzteres mit einem kleinen ›Schleichweg‹ verbunden: Der Aufenthalt in der Hölle konnte in der mittelalterlichen Bußlehre dann befristet werden, wenn die Zeit im Fegefeuer für bestimmte Sünden (insbesondere Wucher) durch entsprechende Gebete und Bußzahlungen der lebenden Anverwandten verkürzt und so der Weg in den Himmel doch noch geebnet wurde. Auch wenn die evangelische Lehre diese Auffassung nie vertreten und scharf gegen sie protestiert und die röm.-katholische Kirche sie mittlerweile als irreführend verabschiedet hat, sind gewisse Elemente auch heute noch weit verbreitet und durchaus maßgebend für Einstellung zu Leben, Sterben und Tod.
Das zweite Testament, insbesondere Paulus, spricht wenig von einer unsterblichen Seele. Auferstehung der Toten ist für ihn leibliche Auferstehung. Paulus betont im Brief an die Korinther (Kap. 15), dass es gerade die Botschaft von der Auferstehung Christi sei, die den christlichen Glauben von anderen Kulten Religionen oder Weltanschauungen unterscheide. Für ihn hängt alles an diesem Punkt:
12 Wenn aber Christus gepredigt wird, dass er von den Toten auferweckt ist, wie sagen dann einige unter euch: Es gibt keine Auferstehung der Toten? 13 Gibt es keine Auferstehung der Toten, so ist auch Christus nicht auferweckt worden. 14 Ist aber Christus nicht auferweckt worden, so ist unsre Predigt vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich. (1Kor 15,12ff.)
Der christliche Glaube beruht also wesentlich auf der Botschaft von der Auferweckung Jesu Christi zu einem neuen Leben nach seinem Tod am Kreuz. In den Evangelien und den weiteren neutestamentlichen Schriften werden Tod und Auferstehung Jesu von Nazareth von verschiedenen Personen bezeugt. Auf diese breite Zeugenschaft legt Paulus ganz besonderen Wert (vgl. 1Kor 15,5ff.). Er spricht an dieser und anderen Stellen gerade nicht von einer unsterblichen Seele, sondern von der Auferstehung zu einem unverweslichen Leib:
42 So auch die Auferstehung der Toten. Es wird gesät verweslich und wird auferstehen unverweslich. […] 44 Es wird gesät ein natürlicher Leib und wird auferstehen ein geistlicher Leib. Gibt es einen natürlichen Leib, so gibt es auch einen geistlichen Leib. (1Kor 15, 42–44)
Paulus spricht von einer Verwandlung dieses Leibes, denn der "natürliche" Leib, mit dem Menschen die Erde bevölkern, ist ein ganz anderer als der himmlische, der in der Auferstehung verliehen wird. Genauer noch sagt er, dass diejenigen, welche die Wiederkunft des Herrn noch im irdischen, natürlichen Leib erleben werden – er erwartete die Wiederkunft Jesu und den Anbruch des neuen Gottesreiches noch zu seinen Lebzeiten – gleich in den unverweslichen, himmlischen Leib verwandelt werden. Und diejenigen, die bereits gestorben und sichtbare Spuren der Verwesung am Leib tragen, werden in einen unverweslichen Leib verwandelt werden.
In beiden Fällen kommt es Paulus darauf an, dass es der Leib ist, der die menschliche Existenz ausmacht. Dabei darf man diesen Leib nicht einfach mit heutigen Vorstellungen vom Körper gleichsetzen. Wenn Christus in den Einsetzungsworten zum Abendmahl spricht: »Dies ist mein Leib, für Euch gegeben«, so ist damit nicht der physische Körper gemeint, sondern der ganze Mensch, der sich mit seinem ganzen Leben für die anderen einsetzt. Im gleichen Sinne spricht wohl auch Paulus von der Verwandlung des Leibes als einer Verwandlung des ganzen Menschen in eine neue Kreatur (2 Kor 5,17). Es sind nicht einzelne Organe des Menschen, die über- und weiterleben, sondern der ganze Mensch wird durch Gottes Schöpferhandeln zu einem neuen, unsterblichen Wesen auferweckt und verwandelt werden. So wie die Schöpfung am Anfang der Welt ein Werk Gottes ist, so auch die Auferweckung zu einem neuen und ewigen Leben.
Blickt man auf den Wandel der Vorstellung in der jüdischen Glaubenswelt zurück, so findet sich in den frühen Schriften des ersten Testaments die Vorstellung von der begrenzten Lebenszeit der Menschen – ohne irgendeine Perspektive des Weiterlebens oder der Auferstehung. Der Tod des Menschen ist das vollständige Ende seiner Existenz. Damit verbunden ist eine radikale Diesseitsorientierung des Glaubens. Wenn es kein Leben nach dem Tod gibt, so geht es darum, Gottes Geboten in diesem Leben zu entsprechen und hier und jetzt seine Lebens-Gaben zu genießen und ihm dafür zu danken.
16 Der Himmel allenthalben ist des HERRN; aber die Erde hat er den Menschenkindern gegeben. 17 Die Toten werden dich, HERR, nicht loben, noch die hinunterfahren in die Stille; 18 sondern wir loben den HERRN von nun an bis in Ewigkeit. Halleluja! (Ps 115,16ff.; vgl. Ps 6,5)
Erst später (etwa im 2. Jahrhundert v. Chr.) setzt sich die Vorstellung von der Auferstehung der Toten in den biblischen Schriften mehr und mehr durch und wird zu einem festen Glaubensbestand – der jedoch die Weltzugewandheit des Glaubens nicht aufhebt. Und doch lässt sich feststellen, dass die Hoffnung auf Auferstehung die Bedeutung des irdischen Lebens auch relativieren kann. Wenn das ewige Leben das ist, worauf es wirklich ankommt, dann wird das irdische Leben als vorläufig begriffen, als ein Durchgangsstadium, als die Stätte, an der man nicht bleiben wird. Paulus drückt diesen Zwiespalt im Brief an die Philipper so aus:
21 Denn Christus ist mein Leben, Sterben mein Gewinn. 22 Wenn ich aber weiterleben soll im Fleisch, so dient mir das dazu, mehr Frucht zu schaffen; und so weiß ich nicht, was ich wählen soll. 23 Denn es setzt mir beides hart zu: ich habe Lust, aus der Welt zu scheiden und bei Christus zu sein, was auch viel besser wäre; 24 aber es ist nötiger, im Fleisch zu bleiben, um euretwillen. (Phil 1,21–24)
Die Ohnmacht, die wir Menschen gegenüber dem Tod erfahren, wird im schöpferischen Handeln Gottes zur Auferstehung aufgehoben. Es ist der Glaube an Gottes Handeln, der dem Tod eine neue Bedeutung gibt. Dieser ist nicht das letzte Wort über unsere Existenz. Von hier aus fällt nicht nur ein hoffnungsvoller Blick auf das kommende Leben, sondern auch ein dankbarer Blick auf das gegenwärtige Leben.