Die EKD und die Diakonie Deutschland fordern vor oder mit der anstehenden gesetzlichen Neuregelung des assistierten Suizids die Verabschiedung eines Suizid-Präventions-Gesetzes. EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus:
Suizid-Prävention muss allem anderen vorgehen. Menschen, die für sich keinen anderen Ausweg mehr sehen, und ihre An- und Zugehörigen dürfen wir nicht sich selbst überlassen.
Diakonie-Präsident Ulrich Lilie:
In der Debatte um den assistierten Suizid haben wir gelernt, dass wir das Thema Suizid besprechbar machen und alles dafür tun müssen, um Suizidgedanken aus der Tabuzone zu holen. Suizidprävention erreicht besonders gefährdete Menschen aller Altersgruppen, die in ihrem Leben nicht weiterwissen. Wir brauchen dringend einen flächendeckenden Aktionsplan, um Öffentlichkeit und Fachkräfte für das Thema umfassend zu sensibilisieren, sowie ein breites Netz von leistungsfähigen Präventions- und Krisendiensten. Außerdem müssen mehr psychotherapeutische und psychosoziale Angebote geschaffen werden, insbesondere für Jugendliche und ältere Menschen. Ein Suizidpräventionsgesetz ist unbedingt erforderlich und wäre ein starkes gesellschaftliches Zeichen des Parlaments für eine angemessene Balance von Lebensschutz und Selbstbestimmung.
Auch der Deutsche Ethikrat hat in seiner Stellungnahme zum Suizid den Prozess-Charakter jeder Suizid-Neigung betont und fordert eine dichtere Infrastruktur von niederschwelligen Hilfsangeboten, die zu jedem Zeitpunkt dieses Prozesses greifen können:
Die Dynamik von Suizidgedanken und suizidalen Handlungen macht deutlich, wie wichtig Suizidprävention ist, die ausdrücklich auch mögliche Risikofaktoren für Suizidalität in den Blick nimmt und diese zu vermeiden oder substanziell zu lindern versucht. Eine angemessene medizinisch‐pflegerische Begleitung kann vielfach eine Linderung von Symptomen und damit verbundener seelischer Belastung bewirken; ebenso eine frühzeitige Diagnostik und Intervention, die stets im Dienste der Betroffenen stehen sollte. Derartige suizidpräventive Strategien setzen allerdings psychiatrisch‐psychotherapeutische und psychologische Versorgungsstrukturen voraus, die nicht im ganzen Land gegeben sind.
Zugleich gibt der Ethikrat zu bedenken, dass auch Suizidprävention nicht Verhinderung des Suizids um jeden Preis bedeuten kann - denn dem widerspricht das Urteil des des Bundesverfassungsgerichts und der Betonung einer selbstbestimmten Entscheidung über das eigene Leben. Suizidprävention sei ein Teil der neuen Gesetzgebung, der andere eine Sicherung des Rechts auf freiwillige Entscheidung am Lebensende, so Ethikrat-Mitglied Prof. Helmut Frister vor dem Rechtsausschuss des Bundestages.
Soziale Teilhabe als Perspektive
Bei der Frage der Prävention geht es immer auch um die Frage: Wie könnte ein besseres Leben aussehen? Wie kann die empfundene Notlage, die Last des Lebens gelindert werden? Dieser Blickwinkel kann im Einzelfall eventuell dem Suizidwunsch unter den aktuellen Bedingungen entgegenwirken, dem Satz "Ich will nicht mehr so leben". Soziale Bindungen, Zuwendung, Gehörtwerden sind in dieser Situation eine wichtige Perspektive. Diakonie und Kirche sprechen sich gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen katholischer Verbände dafür aus, dass bestehende Angebote ausgebaut werden. Sie sollen speziell auf die soziale Teilhabe älterer Menschen zugeschnitten sein und Isolation und Einsamkeit entgegenwirken.
Beratung und Palliativversorgung
Aus den Erfahrungen mit Menschen, die sich den selbstbestimmten Tod wünschen, weiß man, dass dieser Wunsch situativ bedingt sein kann und nicht anhaltend sein muss. In anderen Fällen ist es eine jahrelang bedachte Entscheidung. Seelsorge-Kräfte wissen jedoch auch, dass sich der Wunsch über die Zeit immer wieder ändern kann, mal schwächer, dann wieder stärker werden kann. Beratung, jeweils angepasst an die Situation der Sterbewilligen und ihrer Lebensphasen, scheint damit unerlässlich.
Pflege-, Hospiz- und Palliativ-Einrichtungen sind mit diesem Fakt konfrontiert, ebenso Seelsorger und Seelsorgerinnen. Aber auch Menschen, die nicht in Einrichtungen leben, müssen die Möglichkeit haben, ein Beratungsangebot in Anspruch zu nehmen. Es muss individuell und ganzheitlich zur gesundheitlichen Versorgung in der letzten Lebensphase informieren. Einige der Gesetzentwürfe, die aktuell im Bundestag verhandelt werden, sehen auch eine Beratungspflicht im Vorfeld einer Entscheidung über den assistierten Suizid vor. Diese wäre dann Bedingung für die Straffreiheit.
Ein weiterer zentraler Punkt zur wirkungsvollen Suizid-Prävention ist der Ausbau der Palliativversorgung und die dezentrale Einrichtung interdisziplinärer, geschulter Teams zur Beratung und Begleitung von Suizidwilligen und deren An- und Zugehörigen. Diese Angebote gilt es auszubauen.
Dazu wurden in der "Charta zur Pflege schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland" fünf Leitsätze formuliert.
EKD und Diakonie haben neben rund 40 weiteren Organisationen auch die "Eckpunkte für eine gesetzliche Verankerung der Suizidprävention" unterzeichnet.
Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin sieht großen Aufklärungsbedarf:
Viele Schwerkranke sind nicht aufgeklärt über palliative Begleitung und Möglichkeiten, medizinischer Behandlung zu widersprechen. Es bedürfe einer breit angelegten Aufklärungskampagne. "Wir sollten kranke und alte Menschen und ihre womöglich ebenfalls hochbetagten Angehörigen nicht mit solchen Substanzen alleine lassen." Diese Menschen seien in ihrem Wunsch ernst zu nehmen, aber in ihrer individuellen Lage ergebnisoffen zu beraten.